Johannes Rau: Qualitäten von gestern und Orientierung für die Politik heute und morgen
Dazu spricht Norbert Walter-Borjans – u. a. langjähriger Regierungssprecher Johannes Raus – und ist danach im Gespräch mit Sanae Abdi, MdB.
Anschließend ist die Diskussion mit den Anwesenden erwünscht.
Während – und zwecks Zusammenbleibens auch nach – der Veranstaltung werden Kaffee und kalte Getränke bereitgestellt.
Ort und Zeit
Mittwoch, 11. September 2024 um 18:00 Uhr
Landesvertretung Nordrhein-Westfalen, Hiroshimastr. 12–16, 10785 Berlin
Um Anmeldung wird gebeten per E-Mail unter info@johannesraugesellschaft.org
oder, wenn erforderlich, telefonisch unter 0160 94 727 885 oder schriftlich unter
Johannes-Rau-Gesellschaft e. V., Johannes-Rau-Haus, Kavalleriestraße 12, 40213 Düsseldorf.
Zur Veranstaltung am 24.06.2024 in Düsseldorf
Buchvorstellung und Diskussion: Johannes Rau. Der Besondere. Eine politische Biografie
von Ulrich Heinemann
„Politische Wärme“ durch das „Primat des Persönlichen“
Menschenfreund, Unterschiedsspieler, Sinnstifter, Bürgerpräsident, Herzensdemokrat: Johannes Rau ist vielen Menschen immer noch auf vielfältige Weisen in guter Erinnerung.
Auf Einladung der Johannes-Rau-Gesellschaft (JRG) – in Anwesenheit von Christina Rau – stellte Ulrich Heinemann sein Buch „Johannes Rau. Der Besondere. Eine politische Biografie“ vor. Der Autor leitete zunächst in seinen 601 Seiten umfassenden Band ein. Anschließend stellten sich der frühere Mitarbeiter Raus in der NRW-Staatskanzlei und im Bundespräsidialamt, Christoph Habermann, sowie der Historiker und frühere Landtagsabgeordnete Karsten Rudolph einer lebhaften Diskussion mit Heinemann sowie weiteren Teilnehmern.
„Es trifft persönliche Erinnerung auf den Versuch historischer Erforschung, ein Experiment mit offenem Ausgang“, leitete Heinemann seinen Vortrag im Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf ein. Der Biograf erläuterte das Leitmotiv für „das wichtige Buch“ (JRG-Vorsitzender Christoph Zöpel), „das Besondere herauszustellen, das Johannes Rau von anderen Politikerinnen und Politikern unterschied und abhob“.
Das – oberflächlich betrachtet – womöglich naheliegende Rau-Bonmot „Versöhnen statt spalten“ mochte Heinemann nicht zum Mittelpunkt des Buches erheben. Trotz seines immensen Stellenwertes für den Umgang der Menschen miteinander war das „sehr wohl zu Rau passende“ Credo „im zeitgenössischen Kontext“ zu oft eher abschätzig gegen den zuweilen belächelten „Bruder Johannes“ verwendet worden war.
Diese mutmaßlich in der Öffentlichkeit bekannteste Handlungsmaxime benötigte der Wissenschaftler jedoch auch nicht für die tiefgehend recherchierte Charakterisierung. Denn entlang vier zeithistorischer Themenkreise gelang es Heinemann, Raus Leben und Wirken inhaltlich nachvollziehbar gewichtet nachzuzeichnen.
Der Biograf zeigte Raus frühe Tätigkeitswechsel vom Buchhändler und Verleger hin zu wichtigen politischen Aufgaben, vom Opponenten im Adenauer-Staat zu einem zentralen Akteur des sozialliberalen Machtwechsels. Rau, auch zeitweilig Oberbürgermeister von Wuppertal, war die buchstäbliche Verkörperung des Wandels der SPD von der Arbeiter- zur Volkspartei. Hohe Priorität maß Heinemann so Raus Bedeutung als Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag, Wissenschaftsminister und Ministerpräsident für die strukturellen Veränderungsprozesse in NRW vor der Jahrtausendwende zu. Danach schilderte Heinemann ausführlich Raus Wirken in der Berliner Republik als „Bürgerpräsident“.
Eine Biografie über Johannes Rau wäre allerdings alleine mit der Beschreibung von Stationen und Wegmarken bestenfalls ein Fragment. Denn das Besondere an Johannes Rau, dafür schuf Heinemann in seinem Buch wie in seinem Vortrag angemessen breiten Raum, das Besondere an Johannes Rau ist Johannes Rau gewesen.
Entsprechend hat Rau nach Heinemanns Dafürhalten nach seinem Abschied aus Düsseldorf auf NRW-Ebene „die entscheidende Differenz ausgemacht zwischen der SPD als struktureller Regierungspartei und der SPD als tendenzieller Oppositionspartei.“
In seiner Forschung zum „Unterschiedsspieler“ sah sich der Autor bestätigt in seiner Bewunderung für Raus „Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, sie dabei nicht zu überwältigen, sondern zu überzeugen“. Heinemann beschrieb diese „Besonderheit“, die Raus private Beziehungen und sein politisches Handeln gleichermaßen geprägt hätte, zutreffend als „das Primat des Persönlichen“.
Diese Aura, fuhr der Geschichtsforscher unter Berufung auf Bonner Zeitgenossen fort, hätte Rau „nicht nur zu Sachabsprachen über Parteigrenzen hinwegkommen lassen, sondern zu absoluten emotionalen Mehrheiten“. Durch seine Positionen und Botschaften hätte Rau „ein politisches Grundvertrauen vermittelt, das nicht nur auf ihn bezogen geblieben war, sondern auch die demokratischen Institutionen eingeschlossen“ hätte, die er vertrat.
Johannes Rau und die Demokratie – ein weites Feld auch für Heinemann. Raus überwiegend sinnstiftenden Reden wären stets von „Hochachtung für die Demokratie, ihre Geschichte und ihren Wert geprägt“ gewesen: „Durch die Vermittlung von politischer Wärme machte Rau feinfühliger für die Einsicht, dass unsere Demokratie von Voraussetzungen lebt, die sie als Institution selbst nicht schaffen kann, und deswegen auf eine politische Kultur der Solidarität und des Zusammenhalts angewiesen ist.“
Raus Begabung, „nicht nur verstandes-, sondern auch gefühlsmäßig für die Demokratie einzunehmen“, sei, sagte Heinemann mit Blick auf heutige Probleme, „eine Politiker-Qualität gewesen, die eine hohe Gegenwartsrelevanz hat“. Zumal nach dem Tod des „Herzensdemokraten“ ein Mangel an „zuverlässiger Orientierung“ in verunsichernden Zukunftsfragen erkennbar geworden wäre.
Bisher sei diese entstandene „Wärmelücke“, die der Autor „auch als Lücke im Vertrauen in die Demokratie und ihr heutiges Personal“ wahrnimmt, nicht geschlossen worden: „Ein Politiker-Typus wie Johannes Rau wäre von großem Nutzen für das Land und das Vertrauen in unsere längst nicht mehr unangefochtene Demokratie.“
Heinemanns Austausch nach seiner Einführung mit Habermann, Rudolph und weiteren Gästen wie Raus früherem Regierungssprecher und ehemaligen SPD-Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans über das Werk unterstrich aus zusätzlichen Perspektiven die Vielschichtigkeit von Raus Leben und dessen Wahrnehmung. Bei aller abweichenden Einschätzungen zur Gewichtung verschiedener Themen erhielt Heinemann allseits verdiente Anerkennung für seine Biografie.
Christina Rau bewertete die JRG-Initiative zur öffentlichen Vorstellung des Buches als „Gewinn, wenn man so viel darüber nachdenken kann, was mein Mann uns immer noch zu sagen hat. Die Johannes-Rau-Gesellschaft ist auch dafür gegründet worden, zu ergründen, wo man noch daraus lernen kann, was mein Mann in seinem politischen Leben gemacht hat“.
Dietmar Kramer
Zur Veranstaltung am 03.06.2024 in Wuppertal
Premieren-Veranstaltung: Das Wirken von Johannes Rau für die Stadt Wuppertal
„Identifikationsbürger, Spiegel und Kraftquelle der Stadt“
Ein heller Raum, typisch für die Region solide und ohne übertriebenen Luxus ausgestaltet, eine Sammlung von 2.600 literarischen Werken verteilt auf zehn Nischen zu Themen wie Politik, Theologie, Gesellschaft, Geschichte, Kunst und Kultur, viele mit persönlichen Widmungen und alle mit dem Bibelwort „Des Büchermachens ist kein Ende“ (Prediger 12,12) als Exlibris versehen – so präsentiert sich die Johannes-Rau-Bibliothek auf dem Campus Freudenberg der Bergischen Universität Wuppertal ihren Besuchern. Einen passenderen Ort als diese höchst symbolträchtige Stelle hätte die Anfang 2024 gegründete Johannes-Rau-Gesellschaft (JRG) für ihre Premieren-Veranstaltung kaum wählen können.
„Das Wirken von Johannes Rau für die Stadt Wuppertal“ machte die innige Verbundenheit des achten Bundespräsidenten mit seiner Geburtsstadt wieder erlebbar. Rief in Erinnerung, wie der „Barmer Jong“ und spätere Buchhändler in der Politik – ob aus der Nähe als Oberbürgermeister, Landesminister und Ministerpräsident oder selbst noch von Berlin aus als Staatsoberhaupt - „sein“ Wuppertal als Mensch stets im Herzen trug und sich um das Wohl der Stadt und ihrer Bürger sorgte. Erzählungen und Berichte von Zeitgenossen Raus oder Personen mit indirekten Berührungspunkten vermittelten auf dem Gelände der 1972 in Raus Amtszeit als nordrhein-westfälischer Wissenschaftsminister gegründeten Gesamthochschule nachhaltige Eindrücke von der Bedeutung, die der langjährige Landesvater Angeboten zu Begegnungen von Wissenschaft und Gesellschaft beimaß.
Der JRG-Vorsitzende Christoph Zöpel erinnerte im Anschluss an die Begrüßung der mehr als 70 Gäste durch Bibliotheksleiter Uwe Stadler und vor der Skizzierung von Zielen und selbst gestellten Aufgaben der JRG an Raus Triebfedern und Respekt vor politischen Gegnern. So wäre das zum Landtagswahlkampf 1980 ausgerufene „Bündnis der Vernunft“ aus „Menschen, die Solidarität geben wollen, und Menschen, die Solidarität brauchen“, ebenso von grundlegender Prägung für Raus Stil und zugleich Voraussetzung für seinen anhaltenden Erfolg gewesen wie seine SPD-interne Vorgabe, persönliche Missgeschicke und Verfehlungen anderer nie auszunutzen, „denn“, so zitierte Zöpel seinen früheren Ministerkollegen und späteren Kabinettschef, „es schlägt nur auf uns zurück“.
Auch auf diesen Grundlagen soll eine der künftigen Kernaufgaben der „trotz logischer Unterstützung durch die NRW-SPD sehr bewusst überparteilichen“ JRG laut Zöpel die Schaffung einer Kultur der „Erinnerung an einen ehemaligen Bundespräsidenten durch Ausstrahlung in der ganzen Bundesrepublik“ sein. Entsprechend würden die Pläne des JRG-Vorstands die regelmäßige Ausrichtung von Veranstaltungen aus Raus Wirkungsstätten Berlin, Düsseldorf „und natürlich Wuppertal“ vorsehen. Darüber hinaus ist die Entwicklung eines monatlichen Johannes-Rau-Newsletters mit Erinnerungen und anderen Hinweisen auf sein Wirken in Vorbereitung. Schließlich soll, wie Zöpel ausführte, mit Blick auf „Raus Impulse für die Wissenschaft in allen Fachbereichen“ im jährlichen Rhythmus an jeweils eine der wichtigen Reden Raus zur Wissenschafts- und Bildungspolitik erinnert werden.
Raus Herz für Wissenschaft und Bildung wie für Menschen und Menschlichkeit gleichermaßen betonten anschließend Uwe Schneidewind und Andreas Mucke als seine Nachfolger im Amt des Oberbürgermeisters von Wuppertal. Schneidewind, derzeitiges Stadtoberhaupt, betonte Raus Bedeutung als „Identifikationsbürger für die Stadtidentität“. Rau sei, wie auch Friedrich Engels oder Pina Bausch, „Wuppertal pur und Wuppertal in Mensch gegossen“, und dadurch „Spiegel und Kraftquelle für die Stadt“, eine Persönlichkeit, „ohne die Wuppertal gar nicht denkbar wäre“. Das von Rau als Ministerpräsident angeregte „Wuppertal Institut“ stehe beispielhaft für Raus wissenschaftlichen Weitblick und seine Perspektive von einer „Wissenschaft nach menschlichem Maß, also einer gesellschaftsorientierten Wissenschaft“.
Schneidewinds Vorgänger Mucke würdigte Raus prägende Rolle für Wuppertal „als Stadt des Respekts, der Toleranz und Friedfertigkeit“. Dieser Beitrag, zu dem Mucke auch den von Rau 1993 nach dem fremdenfeindlichen Mordanschlag von Solingen initiierten Bau der Bergischen Synagoge zählt, sei als ein Erbe Raus „unschätzbar wichtig“. Die Menschen in Raus Heimatstadt hätten ihren berühmtesten Sohn zudem „als Politiker immer als einen von uns“ erlebt, der stets gezeigt, „auch nur ein Mensch zu sein“.
Ähnliche Bestandteile von Raus ideellem Vermächtnis arbeiteten in einem Podiumsgespräch die ehemaligen Landtagsabgeordneten Reinhard Grätz und Dietmar Bell, Sozialnetzwerker Wolfgang Ebert sowie die Journalisten Hendrik Walder und Hajo Jahn heraus. Grätz betonte dabei etwa, dass Johannes Rau „über Jahrzehnte das wichtige Gefühl erzeugt hat, dass man Politik trauen und Politik anständig sein kann“. Jahn bestätigte, dass Rau bei aller empfundenen Zuneigung für Wuppertal auch bei Entscheidungen mit positiven Auswirkungen auf seine Heimatstadt „immer nur für das Land gedacht hat“. Ebert erinnerte daran, wie Rau „in ganz besonderer Weis Nähe zu den Menschen hergestellt, Gespräche immer auf Augenhöhe und mit Respekt geführt und nie ein Gefühl von Gefälle entstehen lassen hat“.
Zum Abschluss griff der stellvertretende JRG-Vorsitzende und ehemalige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann in seinem Ausblick, zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Helge Lind, besonders im Veranstaltungsverlauf aufgekommene Anregungen wie beispielsweise Kooperationen für 2031 zur Bundesgartenschau in Wuppertal und Raus 100. Geburtstag auf. Raus „Stil und Kultur der Politik mit einem menschlichen Antlitz, um das Leben für Menschen menschlicher zu machen“, sagte Hoffmann, verdiene besonders auch in Wuppertal die Erhaltung der Erinnerungen an seine Person und sein Leben.
Dietmar Kramer